Obwohl die Abteilung für Hygiene und Technologie für Nutzinsekten erst seit 2019 offiziell besteht, arbeitet das LMQS seit 2006 mit essbaren Insekten.
Mission und Vision der Abteilung sind, den Aufbau der weltweiten Nutzgliederfüßerzucht über die Schaffung von tiermedizinsicher Kompetenz (Haltung, Zucht, Tiergesundheit und –wohl, Lebensmittelsicherheit) voranzutreiben und so die Nutzer und Erzeuger zu unterstützen.
Was sind Nutzinsekten?
Nutzgliederfüßer sind Gliederfüßerarten (Insekten, Spinnentiere, Krebstiere, Tausendfüßer etc.), die zu einem bestimmten Zweck gezüchtet werden. Die „ältesten“ Nutzinsekten sind Honigbienen (Apis mellifera) und Seidenspinner (Bombyx mori), die seit ca. 8.000 bis 12.000 bzw. 5.000 Jahren gehalten werden. Insekten dienen sowohl als Lebens- wie auch Futtermittel. Cochenilleschildläuse (Dactylopius coccus) werden seit über 2.000 Jahren als Lieferanten für den Farbstoff Karmin genutzt. Darüber werden vielen Gliederfüßern medizinale Eigenschaften nachgesagt, von denen die Forschung einige bereits belegen konnten.
In jüngster Zeit kommt eine ganze Reihe weiterer Insektenarten dazu, denen vor allem als Lebens- und Futtermittel wachsende Bedeutung zukommen:
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Grillen, z.B. Heimchen (Acheta domesticus), Kurzflügelgrille (Gryllodes sigillatus), Mittelmeergrille (Gryllus bimaculatus) oder Steppengrille (Gryllus assimilis/locorojo)
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Heuschrecken wie die Wander- (Locusta migratoria) und Wüstenheuschrecke (Schistocerca gregaria)
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Schwarzkäfer, z.B. Mehlwürmer (Tenebrio molitor), Buffalowürmer (Alphitobius diaperinus) oder Riesenmehlwurm (Zophobas atratus)
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Fliegen, z.B. schwarze Soldatenfliegen (Hermetia illucens) oder Hausfliegen (Musca domesticus)
Auch andere Gliederfüßer regelmäßig gezüchtet, z.B. Skorpione und Spinnen, sei es als Heimtiere, sei es zu medizinischen Zwecken. Tatsächlich ist die Liste potentiell nutzbarer Gliederfüßer sehr lang; Allein 2 000 bis 3 000 Insekten sind weltweit als essbar bekannt. Hinzu kommen Hunderte von Krebstier-, ca. 40 Spinnentier- und ca. 10 Tausendfüßerarten. Bestimmte Milben sind für die Reifung einiger Käse vonnöten, z.B. dem Würchitzer Milbenkäse oder dem Mimolette aus Frankreich.
Welche Nutzungen ergeben sich?
Neben dem Verzehr eröffnet sich die Nutzung als Futtermittel, in der verarbeitenden Industrie, in der Abfallwirtschaft und auf dem Heimtiersektor. Einige Arten wie z.B. Mehlwürmer oder Soldatenfliegen können zu unterschiedlichen Zwecken genutzt werden, beispielsweise als Lebens- oder Futtermittel.
Sammeln oder züchten?
Sieht man von der kommerziellen Aquakultur einiger Krebstierarten und der Zucht von Futterinsekten für den Heimtiersektor ab, wurden die meisten dieser Arten eher traditionell genutzt, d.h. aus der Natur gesammelt. Dabei ist diese traditionelle Nutzungsweise über Jahrtausende nach dem „Versuch und Fehlschlag“-Prinzip entstanden und balanciert grundsätzlich das Angebot an verfügbaren Insekten und einer sicheren Nutzung durch den Menschen aus. Allerdings verändern äußere Einflüsse dieses Gleichgewicht, z.B. durch die Intensivierung des Sammelns, Umweltveränderungen und Auftreten von lebensmittelrelevanten Veränderungen, auf die traditionelle Sicherheitskonzepte keine Antwort haben, z.B. chemische Rückstände.
Auf lange Sicht ergeben sich zwei Probleme:
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Natürliche Populationen können in ihrem Bestand gefährdet werden, z.B. Vogelspinnen in Kambodscha und Thailand
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Wie bei Wild ist die Lebensmittelhygiene wild gesammelter Insekten weniger gesichert; Beispielsweise können gesammelte Heuschrecken aus der Sahel-Zone mit Schädlingsbekämpfungsmitteln kontaminiert sein.
Insofern ist die Zucht dieser Tiere eine zukunftsweisende Art der Nutzung. Je nach Art kann die Zucht der Gliederfüßer kostengünstiger, nachhaltiger und ökologischer als herkömmliche Nutztierarten sein. Allerdings bestehen gegenwärtig einige gesetzliche Hürden, so dass nicht alle Gliederfüßer als Lebens- oder Futtermittel verwendet werden dürfen.
Was macht das ILMQS im Bereich der Nutzinsekten?
Die Abteilung Hygiene und Technologie der Nutzinsekten befasst sich vorrangig, aber nicht ausschließlich, mit der Nutzung von Insekten als Lebensmittel. Wie auch andere Abteilungen betreibt sie Forschung, Dienstleistung, Beratung, Lehre und Fortbildung.
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Ein zentraler Punkt der Abteilung ist das TiHo-Insektarium. Dort werden zu Versuchszwecken gegenwärtig folgende Arten gehalten:
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Mittelmeergrille (Gryllus bimaculatus)
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Steppengrille (Gryllus assimilis/locorojo)
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Mehlwurm (Tenebrio molitor)
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Riesenmehlwurm (Zophobas atratus)
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Buffalowurm (Alphitobius diaperinus)
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Schwarze Soldatenfliege (Hermetia illucens)
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Im Rahmen der Lehre und Fortbildung werden Nutzinsekten-Inhalte an Studierende der Tiermedizin, VMTA-Schüler*innen, Praktiker*innen und Tiermediziner im öffentlichen Dienst im In- und Ausland vermittelt. Im Vordergrund stehen dabei sowohl Einführungen in die Nutzinsekten wie auch spezielle Themen wie Warenkunde, Zuchtsysteme, Analytik und gesetzliche Aspekte.
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Die Dienstleistung umfasst chemische, mikrobiologische und molekularbiologische Untersuchung von Insekten und Erzeugnisse daraus.
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Im Bereich der Beratung dient die Abteilung als Anlaufstelle für Alle, die Orientierung im Bereich der Nutzinsekten suchen. In den letzten Jahren waren das vorrangig Amtstierärztinnen und –ärzte, aber auch interessierte Erzeuger und Berater. Darüber hinaus ergingen Einladungen zur rechtlichen Bewertung vom Niedersächsischen Landwirtschaftsministerium und Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA) sowie zu Beratertreffen mit Vertretern der Studenteninitiative „Enactus – Insectus“, der Federation of Veterinarians of Europe (FVE) sowie der International Platform of Insects for Feed and Feed (IPIFF), dem europäischen Interessenverband für Nutzinsektenzucht.
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Die Forschung zu Speiseinsekten begann 2006. Seitdem wurde viele Bereiche untersucht, so die chemische Zusammensetzung, mikrobiologische Risiken, gesetzliche Rahmenbedingungen, Sensorik und Verbraucherakzeptanz. Gegenwärtig wird das vom BLE geförderte Projekt IFNext (Link) bearbeitet, das, zusammen mit Wissenschaftlern aus Kambodscha und Thailand, die nachhaltige Insektenzucht für kleine ländliche Betriebe vorantreibt, um die teilnehmenden Müttern und ihren Kindern nicht nur eine Verbesserung der Ernährung, sondern auch einen wirtschaftlichen Gewinn durch den Verkauf von neuartigen Insektenerzeugnissen bringen soll.
Der Bereich der Nutzgliederfüßerzucht ist ein sehr junges Arbeitsgebiet, und genauso wie Tierärzte und –ärztinnen reguläre Nutztierbetriebe (Geflügel, Schweine, Rinder etc.) begleiten, wird das auch für Nutzinsekten notwendig. Aus diesem Grund wurde 2019 das International Network for Produktive Insects‘ Health and Welfare (INPIHW) (Link) gegründet, das durch die Abteilung organisiert wird. Es umfasst Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt, die auf vielfältige Weise mit der Nutzinsektenzucht befasst sind und als Ansprechpartner für tiermedizinische Belange fungieren.
Researchgate-Link https://www.researchgate.net/profile/Nils-Grabowski