Aus dem Lebensmittel für Lebensmittel

Die Fruchtkörper vieler Basidiomyceten sind langjährig etablierte Lebensmittel. Dazu zählen die weltweit beliebtesten Speisepilze wie der Champignon (Agaricus bisporus), der Shiitake (Lentinula edodes), die Seitlinge (Pleurotus sp.) oder der Pfifferling (Cantharellus cibarius), aber auch nicht kultivierte Gattungen wie die Steinpilze (Boletus sp.). Andere haben zwar keinen nennenswerten kulinarischen Wert, spielen jedoch als Heilpilz eine Rolle (z. B. Ganoderma sp.) und weisen damit ebenfalls eine historische Nutzung auf. Dies hat zur Folge, dass die entsprechenden Pilze und ihre Bestandteile als toxikologisch unbedenklich etabliert sind. In den USA ist das durch den sogenannten GRAS-Status gekennzeichnet („generally recognized as safe“). Eine Verwendung ausgewählter Pilzinhaltsstoffe wie z. B. Enzyme ist damit in Lebensmitteln signifikant erleichtert im Vergleich zur Nutzung von Stoffen aus bisher nicht als Lebensmittel etablierten Organismen.

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Austernseitling (Pleurotus ostreatus) als Oberflächenkultur
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Austernseitling (Pleurotus ostreatus) in Submerskultur

Basidiomycetische Enzyme für die Verbesserung von Lebensmitteln

Viele Basidiomyceten ernähren sich saprotroph, das heißt, sie ziehen die benötigten Nährstoffe aus toten organischen Substanzen wie Holzstämmen und abgeworfenen Blättern. Um dies zu bewerkstelligen, produzieren sie eine Vielzahl unterschiedlicher, vor allem hydrolytisch und redox-aktiver Enzyme. Diese werden sekretiert, um die in der Umgebung vorhandenen Makronährstoffe abzubauen und damit für den Pilz verfügbar zu machen.

Bei submerser Kultivierung des Myzels werden die Enzyme in das Nährmedium sekretiert und sind aus diesem unkompliziert aufzureinigen. Dabei können agroindustrielle Nebenströme (s. u.) genutzt werden, um die Produktion bestimmter Enzyme durch Fütterung der abzubauenden Makronährstoffe zu induzieren. Solcherart gewonnene Enzyme können identifiziert und heterolog, z. B. in E. coli oder K. phaffii, produziert und damit der Lebensmittelindustrie zur Verfügung gestellt werden.

Bisher wurde die heterologe Produktion von Enzymen zur Bildung verschiedener Aromastoffe1,2 und veganer Gele3,4 etabliert.  In anderen Studien konnten die magenreizende Chlorogensäure in Apfelsaft bzw. Zöliakie-induzierende Peptide in Mehlfraktionen mit Hilfe basidiomycetischer Enzyme abgebaut werden5,6.

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Gel aus aus Weizenkleie extrahiertem Arabinoxylan, das mit einer Laccase aus Funalia trogii quervernetzt wurde

Nutzung agroindustrieller Nebenströme für eine zirkuläre Bioökonomie

Agroindustrielle Nebenströme wie Weizenkleie, Zuckerrübenfasern, Trester und Treber, aber auch Kartoffelschalen werden häufig thermisch verwertet und landen somit in der Biogasanlage. Dabei enthalten sie noch wertvolle Nährstoffe wie Glucose, die für das Wachstum von Mikroorganismen benötigt und für deren Kultivierung teuer eingekauft werden muss. Basidiomyceten sind in der Lage, die für den Abbau der jeweiligen Nebenströme notwendigen Enzyme zu produzieren und sekretieren (s.o.) und können diese stofflich verwerten. Damit schließen sie bioökonomische Kreisläufe, während die Kultivierungskosten dank des Verzichts auf Einzelnährstoffe gesenkt und die Ausbeuten an für den Abbau verantwortlichen Enzym(en) gesteigert werden.

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Pleurotus sapidus auf Agar mit 5 % (w/v) Zitronenschalen © Nina-Katharina Krahe
Flamm
Flammulina velutipes in Standardmedium (SNL) mit 5 % (w/v) Gluten

Natürliche Farbstoffe aus Basidiomyceten

Beim Spaziergang durch den Wald offenbart sich dem aufmerksamen Beobachter die Farbenpracht der Pilze. Die dem zugrundeliegenden natürlichen Farbstoffe werden bereits seit Jahrhunderten handwerklich zur Färbung von v. a. Textilien genutzt. Eine industrielle Nutzung scheitert jedoch an der beschränkten Verfügbarkeit der farbigen Fruchtkörper. Hier kann eine biotechnologische Produktion des Myzels im Labor Abhilfe schaffen. Dabei gilt es zu beachten, dass die für die Bildung der Farbstoffe verantwortlichen Biosynthesewege nicht automatisch im Myzel aktiviert sind. Biologische, physikalische und chemische Induktoren wie Licht, Temperatur oder oxidativer Stress können dazu beitragen, dass die Farbstoffe auch submers verfügbar und ihre Produktion damit skalierbar wird.

Auf diese Weise konnte bisher die Produktion der rot-orangen Laetiporinsäuren aus dem Schwefelporling, Laetiporus sulphureus, sowie die Bildung des gelb-orangen Hispidins aus dem Zottigen Schillerporling, Inonotus hispidus, etabliert werden7-9.

Produktion
Produktion und Anwendung von Laetiporinsäuren aus Laetiporus sulphureus © 8

Monokaryoten oder die gentechnikfreie Verbesserung von Enzymen

Basidiomyceten haben einen komplexen Lebenszyklus, bei dem die einzelne Hyphe (= Zelle) über lange Phasen zwei Zellkerne enthält. Erst zur Fortpflanzung kommt es im Fruchtkörper zur Verschmelzung der zwei Zellkerne und zur Meiose und damit zur genetischen Rekombination. Die dabei produzierten Sporen enthalten einen Zellkern mit neu zusammengewürfeltem, genetischen Material und können als Monokaryoten eigenständig Myzel ausbilden, allerdings erst nach der Verschmelzung mit einem anderen Monokaryoten des passenden Kreuzungstypen zum Dikaryoten (mit zwei Zellkernen je Zelle) Fruchtkörper bilden (vgl. 10).

Dieser Zyklus ermöglicht die Generierung genetisch ‚neuer‘ Monokaryoten aus einem parentalen Stamm. Dabei können die Monokaryoten verbesserte Enzymaktivitäten und ­stabilitäten aufweisen und bilden damit eine Möglichkeit, ohne aktive genetische Modifikation und damit ohne die Nutzung von Gentechnik neue enzymatische Varianten zu generieren.

Diese Technik wurde genutzt, um Varianten der für die Bildung verschiedener Aromastoffe verantwortlichen Dye-decolorizing Peroxidase aus dem Seitling Pleurotus sapidus mit bis zu 2,6-facher Enzymaktivität zu gewinnen11.

Leben
Lebenszyklus der Basidiomyceten mit mono- und dikaryotischen Phasen, modifiziert nach 10
Pero
Peroxidase-Aktivität verschiedener Monokaryoten (MK) und des parentalen Dikaryoten (DK) von Pleurotus sapidus, nach 11

Referenzen

1- Krahe, N. K., Berger, R. G. & Ersoy, F. A DyP-type peroxidase of pleurotus sapidus with alkene cleaving activity. Molecules 25 (2020). https://doi.org/10.3390/molecules25071536

2- Krahe, N. K., Berger, R. G., Kahlert, L. & Ersoy, F. Co-Oxidative Transformation of Piperine to Piperonal and 3,4-Methylenedioxycinnamaldehyde by a Lipoxygenase from Pleurotus sapidus. Chembiochem 22, 2857-2861 (2021). https:// doi.org/10.1002/cbic.202100183

3- Khalighi, S., Berger, R. G. & Ersoy, F. Cross-linking of fibrex gel by fungal laccase: Gel rheological and structural characteristics. Processes 8 (2020). https://doi.org/10.3390/pr8010016

4- Khalighi, S., Berger, R. G. & Ersoy, F. Cross-linking of wheat bran arabinoxylan by fungal laccases yields firm gels. Processes 8 (2020). https://doi.org/10.3390/pr8010036

5- Siebert, M., Berger, R. G. & Pfeiffer, F. Hydrolysis of chlorogenic acid in apple juice using a p-coumaryl esterase of Rhizoctonia solani. J. Sci. Food Agric. 99, 6644-6648 (2019). https://doi.org/10.1002/jsfa.9940

6- Ersoy, F. et al. A Prolyl Endopeptidase from Flammulina velutipes Degrades Celiac Disease-Inducing Peptides in Grain Flour Samples. Catalysts 13, 158 (2023). https://doi.org/10.3390/catal13010158

7- Zschätzsch, M. et al. Production of natural colorants by liquid fermentation with Chlorociboria aeruginascens and Laetiporus sulphureus and prospective applications. Engineering in Life Sciences 21, 270-282 (2021). https://doi.org/10.1002/elsc.202000079

8- Bergmann, P. et al. Pilot-Scale Production of the Natural Colorant Laetiporic Acid, Its Stability and Potential Applications. Fermentation 8, 684 (2022).

9- Bergmann, P. et al. Cultivation of Inonotus hispidus in Stirred Tank and Wave Bag Bioreactors to Produce the Natural Colorant Hispidin. Fermentation 8, 541 (2022). https://doi.org/10.3390/fermentation8100541

10- Vreeburg, S., Nygren, K. & Aanen, D. K. Unholy marriages and eternal triangles: how competition in the mushroom life cycle can lead to genomic conflict. Philosophical Transactions of The Royal Society B 371, 20150533 (2016). https://doi.org/10.1098/rstb.2015.0533

11- Krahe, N.-K. et al. Monokaryotic Pleurotus sapidus Strains with Intraspecific Variability of an Alkene Cleaving DyP-Type Peroxidase Activity as a Result of Gene Mutation and Differential Gene Expression. Int. J. Mol. Sci. 22, 1363 (2021). https://doi.org/10.3390/ijms22031363