Rotte Wildschweine auf Waldlichtung, Keiler, Wildfalle für Schwarzwild, Hauer vom Keiler, Wildschweinfütterung
Projektdaten  
Projektdauer: 2010-2013
Projektleitung: Prof. Dr. Ursula Siebert
Wiss. Bearbeitung: Dr. Oliver Keuling,
Dipl.-Biol. Coralie Herbst, Dr. Friederike Gethöffer
Förderung: Jagdabgabemittel des Landes Niedersachsen, Föderverein des ITAW
Kooperation: Institut für Evolutionsbiologie & Ökologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Dr. Jörg Brün, Dipl.-Biol. Björn Müller

Projektbeschreibung

Vor dem Hintergrund der bundesweiten Rekordstrecke von 646.790 erlegten Wildschweinen (Sus scrofa) im Jagdjahr 2008/09 (DJV 2010) wird gefordert, die Schwarzwildbestände massiv zu reduzieren (z.B. ISN 2008: 10-Punkteplan zur Intensivierung der Schwarzwildbekämpfung). Revierübergreifende Ansitzdrückjagden gelten als besonders effektiv, in Niedersachsen werden jedoch ca. 70 % der Strecke auf der Einzeljagd erlegt (Sodeikat & Pohlmeyer 2007). Daher ist es äußerst wichtig die derzeitigen Bejagungsstrategien zu hinterfragen, weitere Methoden zu prüfen und ein regional angepasstes effektives Jagdmanagement zu etablieren.

Ein großflächiges und kontinuierliches Monitoring zur Einschätzung der Populationsdichten und –zuwächse ist erforderlich, um daraus einen regional angepassten „Abschussplan“ zu ermitteln. In Regionen mit unterschiedlichen Landschaftsstrukturen und Wilddichten müssen verschiedene Bestandserfassungsmethoden angewandt werden. Daher liegen verschiedene Projektgebiete in Regionen mit unterschiedlich hohen Schwarzwilddichten bzw. ‑jahresstrecken und mit unterschiedlichen Landschaftsstrukturen.

Projektteil:  Bestandserfassung und Bejagungskonzepte

In vier Regionen Niedersachsens werden regional angepasste praktikable Bestandseinschätzungsmethoden konzipiert, die in den Projektgebieten erprobt, bewertet und anhand von Zählungen in bekannten Populationen (z.B. in Gatterrevieren) geeicht werden. Da eine flächendeckende Einschätzung der Bestände ohne die Beteiligung der lokalen Jäger kaum möglich ist (Gaidet-Drapier et al. 2006, Elphick 2008, Lyra-Jorge et al. 2008), können nur einfach anwendbare Methoden eingesetzt werden (Gaidet-Drapier et al. 2006, Vine et al. 2009). Mit Hilfe von verschiedenen Bestandserfassungsmethoden, Bestandsschätzungen, Reproduktionsuntersuchungen sowie Streckenanalysen und -rückrechnungen werden die regionalen Schwarzwildpopulationsdichten (adult im Frühjahr, Frischlingsanteile im Sommer), deren Reproduktionsraten und bejagbaren Zuwächse ermittelt. Aus Bestands- und Reproduktionszahlen sowie den Kenntnisse zu effektiven und erprobten Bejagungsmethoden verknüpft mit Daten zu Habitatverteilung, Witterung und Nahrungsressourcen (z.B. Mastbäume, Mastjahre, Maisanbaufläche, Anteile Feld-/Waldfläche) werden jährliche regional angepasste Modelle erstellt. Für die eingeschätzten Populationsgrößen müssen anhand von Reproduktionsuntersuchungen, Aufkommen von Mastjahren, Witterungsbedingungen etc. Korrekturfaktoren erarbeitet werden, die in die Modelle einfließen.

Projektteil: Raumnutzung in der Agrarlandschaft und Überprüfung der Leitbachenhypothese

Über das Schwarzwild ist schon ausgiebig geforscht worden (Keuling 2010), die meisten der Untersuchungen stammen jedoch aus waldreichen Regionen mit hohen Schwarzwildbeständen. In Agrarregionen mit mäßig hohen Schwarzwilddichten ist das Schwarzwild bisher nur sehr wenig wissenschaftlich untersucht worden. Erkenntnisse über Raum- und Habitatnutzung, Wildschäden und Reproduktion in agrardominierten Landschaften sind eminent wichtig zur Erstellung regional angepasster, felxibler Bejagungskonzepte.

Insbesondere eine gezielte Alterklassenbejagung zur Effizienzsteigerung der Reproduktionskontrolle muss hierbei genauer untersucht werden, da die Altersklassen und die auf der Einzeljagd erlegten Individuen mit unterschiedlich hohen zukünftigen individuellen Nettoreproduktionen zur Gesamtreproduktion beitragen. Die gezielte Bejagung der höchsten individuellen Reproduktionsträger insbesondere auf der Einzeljagd wird derzeit intensiv diskutiert (Hohmann 2009). Die Rolle der Leitbachen in den Rotten und der Reproduktion ist weiterhin ungeklärt und wird aktuell intensiv diskutiert (Keuling & Stier 2009, Hohmann 2010 mündl. Mittlg.). So ist im experimentellen Ansatz v.a. zu klären, wie sich die (versehentliche) Erlegung von Leitbachen (α-Tiere in Großrotten und Bachen in Kleinstrotten) auf die Schwarzwildpopulationen auswirkt. Verändern sich Sozialgefüge und Raumnutzung und damit auch Ausbreitung, Epidemierisiko, Wildschäden, Bejagbarkeit sowie Reproduktion?

Im Jahr 2011 wird mit einer radiotelemetrischen Studie im Forstamt Harsefeld begonnen. Weitere Untersuchungsgebiete sollen noch etabliert werden.

In Kooperation mit dem Institut für Evolutionsbiologie und Ökologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn werden genetische Analysen zu Sozialstruktur und Streckenzusammensetzung durchgeführt, um daraus Veränderungen in der Sozialstruktur sowie Bestandsgrößen und Bejagungseffizienzen abzuleiten. Die genetischen und freilandökologischen Daten werden eng miteinander verknüpft und gegenseitig kalibriert.

Umsetzung der Bejagungskonzepte

Die Managementmodelle werden in den Projektgebieten etabliert, die Streckenergebnisse ausgewertet und zwischen den Projektgebieten abgeglichen. Anhand der Bestands-, Reproduktions- und Streckendaten werden die Prognosen aus den Modellierungen überprüft und die Modelle entsprechend angepasst. Die Umsetzung der Bejagungsvorgaben werden anhand von Streckenanalysen und Effizienzkontrollen permanent überprüft.

Da aufgrund unterschiedlicher jagdlicher Erfahrungswerte der Jäger das Schwarzwild traditionell in verschiedenen Regionen unterschiedlich bejagt wird, kommt der in den Jagdwissenschaften relativ neuen Forschungsrichtung der so genannten „human dimension“ eine besondere Rolle zu: In Kooperation mit Meinungsforschern wird aus vorhandene Daten aus der Flächendeckenden Wildtiererfassung in Niedersachsen (WTE) und neuen gezielten Umfragen die Realisierbarkeit und Akzeptanz der Bejagungsmodelle ermittelt. In den Projektgebieten wird detailliert analysiert, mit welchen Effektivitäten (Zeitaufwand pro Stück) und Anteilen die verschiedenen Jagdmethoden zur lokalen Gesamtstrecke beitragen. Hierbei soll auch verglichen werden, wie sich die Effizienzen und Anteile der Bejagungsmethoden in Gebieten mit stagnierenden Jagdstrecken (regulative Kontrollgruppe) und steigenden Jagdstrecken (Probegruppe) unterscheiden. Mittels Umfragen über die WTE werden Bejagungseffizienzen ebenfalls in der Fläche Niedersachsens berechnet.

Anhand der Erkenntnisse aus den Projektgebiete werden regional angepasste Bejagungsmodelle für die flächendeckende Umsetzung in Niedersachsen abgeleitet. Die Akzeptanz dieser Maßnahmen bei den Jägern soll durch Sachberichte, Seminare und wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Publikationen gestärkt werden.

Kontaktperson

Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung
Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover
Bischofsholer Damm 15
30173 Hannover

 

Dr. rer. nat. Oliver Keuling
Tel.: +49 511 856-7396
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