Untersuchung von Verhaltens- und akustischen Reaktionen von Walen auf seismische Untersuchungen in der Antarktis

Zwei Wale mit Blas an der Oberfläche
Projektdaten  
Projektleitung: Prof. Prof. h. c. Dr. Ursula Siebert
Leitender Wissenschaftler: Dr. Johannes Baltzer
Laufzeit: 07.2022 bis 12.2023
Projektpartner: JASCO Applied Sciences
Prof. Rochelle Constantine und Tane van der Boon (MAUI63 project New Zealand)
Dr. Brandon Southall (Southall Environmental Associates, Inc., SEA)
Finanziert durch das: Umweltbundesamt (UBA)

Projektbeschreibung

Das Umweltbundesamt (UBA) ist nach dem Gesetz zur Ausführung des Umweltschutzprotokolls zum Antarktisvertrag (AUG) die nationale Genehmigungsbehörde für alle Tätigkeiten in der Antarktis, die von Deutschland aus organisiert werden oder von Deutschland ausgehen. Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens nach dem AUG ist für alle angezeigten Aktivitäten im Geltungsbereich des Antarktis-Vertrages eine Umweltprüfung durch das UBA als Vollzugsbehörde durchzuführen.
Um  die Topographie und geologische Zusammensetzung des Meeresbodens zuverlässig zu bestimmen, werden seismische Untersuchungen mit Airguns (Luftpulsern) durchgeführt. Diese Geräte senden Schallwellen mit sehr hohen Schallpegeln aus. Die Datenbasis ist bislang unzureichend, um mögliche Auswirkungen auf die marine Fauna beurteilen zu können.
Das Ziel dieses Projektes ist es, die Auswirkungen einer geowissenschaftlichen, seismischen Untersuchung mit Airguns im Rahmen der Expedition "WAIS-BELL" (PS 134) im Jahr 2022/23 auf Wale in der Antarktis in situ zu bewerten. Hierbei wird eine Verhaltensreaktionsstudie durchgeführt, die einen multidisziplinären Ansatz umfasst, der visuelle Erfassungsmethoden und passiv akustisches Monitoring (PAM) miteinander kombiniert.
Im Rahmen des Projektes sollen Daten über die Verteilung, Habitatnutzung und mögliche Verhaltensreaktionen von Walen in ihrem antarktischen Nahrungsgebiet in einer ungestörten und akustisch gestörten Situation generiert werden. Die Arbeiten werden während seismischer Untersuchungen in der Amundsen- und Bellingshausensee durchgeführt und erfolgen in enger Zusammenarbeit zwischen der TiHo, JASCO und der AWI-Geophysikgruppe in deren Untersuchungsprogramm.
Die Lärmbelastung und die Vokalisierungen von Walen werden mit Hilfe eines autonomen akustischen Aufnahmesystems (AMAR) aufgezeichnet, das die Identifizierung, Lokalisierung und Verfolgung vokalisierender Individuen ermöglicht. Durch visuelle Erfassungsmethoden (Helikopter, autonome Drohne, ggf. Brücke oder Krähennest des FS Polarstern) werden Daten über die Verteilung und Verhaltensreaktionen während der seismischen Untersuchung sowie Habitatnutzung der Wale während der Transits hin zum und aus dem Untersuchungsgebiet gesammelt. Die Ergebnisse werden einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, potentielle Effekte von seismischen Untersuchungen mit Airguns auf Wale zu bewerten und wichtige Informationen für das Management anthropogener Aktivitäten im Antarktisvertragsgebiet liefern.

Ergebnisse: Ziel des Projekts war die Bewertung der Auswirkungen seismischer Airgun-Untersuchungen während der Expedition PS134 (WAIS-BELL) auf antarktische Wale. Dazu wurde ein multidisziplinäres Monitoringkonzept entwickelt, das visuelle Methoden mit passiver Akustik kombinierte, um Verhaltensreaktionen, Vermeidungsdistanzen und mögliche Maskierung von Walvokalisierungen zu untersuchen.

Schiffsgestützte Beobachtungen durch Marine Mammal Observer (MMO) und ein Validierungsteam erwiesen sich als zuverlässigste Mitigationsmaßnahme. Die Vergleichsstudie zeigte, dass 2 MMO nahezu die gleiche Sichtungsleistung wie 3 MMO erreichten. Aus allen Schiffssichtungen wurde ein Vermeidungsradius von 3,4 km (Airguns aktiv) gegenüber 1,2 km (Airguns inaktiv) ermittelt. Einschränkungen bestanden durch Wetter, Nachtbedingungen und nicht einsehbare Bereiche am Heck. Das Infrarot (IR)-Kamerasystem registrierte zwar zusätzliche Sichtungen, war aber durch technische Probleme, hohe Luftfeuchtigkeit und einen großen toten Winkel begrenzt; dennoch wird ein Update empfohlen, da es besonders bei Dunkelheit nützlich ist. Flugsurveys mit Helikopter erweiterten den Beobachtungsradius erheblich (bis 90 km) und lieferten wertvolle Informationen zur Artenverteilung, eignen sich aber nicht für Echtzeit-Mitigation. Die eingesetzte Drohne zeigte nach technischen Problemen Potenzial für zukünftiges Echtzeit-Monitoring, konnte jedoch noch nicht voll evaluiert werden.

Das Autonomous Long-Term Observatory (ALTO)-System mit integriertem AMAR sollte Informationen zu Vokalisierung und Verhalten vor, während und nach seismischen Aktivitäten liefern, zeichnete jedoch aufgrund einer technischen Fehlfunktion keine Daten auf, trotz grundsätzlich hoher Eignung dieser Technologie. Das im Streamer integrierte PAM-System QuietSea™ produzierte überwiegend Fehlalarme. Von vielen detektierten Ereignissen stellte sich nur eine einzige automatische Erkennung als echte Walvokalisierung heraus. Gründe könnten Maskierung durch Schiffslärm, Luftblasenbarriere hinter dem Schiff sowie fehlende Kalibrierung sein.

Keine Methode allein ermöglicht ein vollständiges, zuverlässiges Monitoring unter allen Bedingungen. Schiffsgestützte visuelle Beobachtungen bleiben momentan die effektivste Mitigationsmaßnahme. IR-Systeme, Drohnen und akustische Systeme benötigen technische Weiterentwicklungen, können aber langfristig wertvolle Ergänzungen darstellen, insbesondere zum Monitoring bei Dunkelheit, schlechtem Wetter oder unter Wasser. Für ein robustes Schutz- und Mitigationskonzept sind kombinierte, weiter optimierte Monitoringansätze notwendig.

 

Kontaktperson

Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover
Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung
Werftstr. 6
25761 Büsum

Dr. Johannes Baltzer

Phone: +49 (0)511-8568166
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