SARS-CoV-2 wird von Seife zerstört

Thromboserisiko bei COVID-19-Patienten

Ein Mechanismus der angeborenen Immunabwehr kann bei älteren männlichen COVID-19-Patienten das Thromboserisiko erhöhen.

Schon früh in der SARS-CoV-2-Pandemie wurde deutlich, dass COVID-19-Patienten ein höheres Risiko für thrombotische Komplikationen haben. Eine mögliche Ursache dafür sind erhöhte Level extrazellulärer Neutrophiler Netze (NETs). Dabei handelt es sich um netzartige Strukturen aus DNA und Proteinen, die von den zu den weißen Blutkörperchen zählenden Neutrophilen Granulozyten als Reaktion auf eine Infektion freigesetzt werden, um Krankheitserreger unschädlich zu machen. Sie sind Teil der angeborenen Immunantwort und wurden bereits als potenzielle Trigger für einen schweren COVID-19-Verlauf beschrieben. Sind Betroffene nicht in der Lage, die NETs mit spezifischen DNA-abbauende Enzyme (DNasen) effizient zu beseitigen und die NETs-Konzentration erhöht bleibt, können thrombotische Komplikationen auftreten.

Ein multidisziplinäres Forschungsteam untersuchte unter der Leitung von Professorin Dr. Maren von Köckritz-Blickwede aus dem Institut für Biochemie und dem Research Center for Emerging Infections and Zoonoses der TiHo und Professorin Dr. Gülsah Gabriel aus dem Institut für Virologie der TiHo und dem Heinrich-Pette-Institut Hamburg, in einer Kohorte von COVID-19-Patienten den Gehalt an NETs-Markern und die DNase-Aktivität im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen und veröffentlichte die Ergebnisse im Journal of Innate Immunity. „Unsere Daten zeigten einen erhöhten Gehalt an NETs-Markern im Plasma von COVID-19-Patienten im Vergleich zu gesunden. Außerdem konnten wir bei männlichen Patienten höhere Markerwerte feststellen als bei weiblichen“, erklärt die wissenschaftliche Mitarbeiterin und Erstautorin der Publikation PD Dr. Nicole de Buhr aus dem Institut für Biochemie. Gleichzeitig war bei COVID-19-Patienten im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen eine erhöhte DNase-Aktivität nachweisbar. „Bei detaillierter Datenanalyse und einem Abgleich mit den Patientendaten zeigt sich eine wichtige Entwicklung der DNA-abbauenden Enzymaktivität: Zwischen der DNase-Aktivität und dem Alter der männlichen Patienten besteht eine negative Korrelation“, so de Buhr. Je älter der männliche Patient, desto geringer ist die Aktivität der DNA-abbauenden Enzyme. Dies erklärt auch die erhöhten NETs-Marker Werte bei männlichen Patienten. Nach der infektionsbedingten NETs-Bildung ist der Abbau somit stark eingeschränkt und die NETs bleiben erhalten. Damit erhöht sich das Risiko für thrombotische Komplikationen bei männlichen Patienten mit zunehmendem Alter.

Das Forschungsteam identifizierte noch einen weiteren potenziellen Risikofaktor für ältere männliche Patienten: „Wir haben bei allen Personen den Plasmaspiegel von LL-37 analysiert, ein antimikrobielles Peptid, von dem bekannt ist, dass es NETs gegen den DNase-Abbau stabilisiert und damit ebenfalls eine Rolle für ein Thromboserisiko spielen kann“, erläutert Professorin Dr. Maren von Köckritz-Blickwede. Bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 wird LL-37 in den NETs eingelagert. Die Ergebnisse zeigen, dass der LL-37-Plasmaspiegel mit dem erhöhten NETs-Marker-Spiegel bei männlichen COVID-19-Patienten korreliert. „Dies weist auf eine mögliche Rolle von LL-37 für das Risiko einer NETs-assoziierten Thrombose bei männlichen COVID-19-Patienten hin, indem es die DNA-Netze gegen den DNase-Abbau stabilisiert“, so von Köckritz-Blickwede.

Zusammenfassend identifizierte das Forscherteam somit zwei potenzielle Risikofaktoren bei männlichen älteren Patienten: Eine unzureichende DNase-Aktivität und ein erhöhter LL-37-Spiegel, die zu einem ineffizienten Abbau von NETs und damit zu einem höheren Risiko für NETs-assoziierte schädliche Wirkungen führen können.

Helfen diese Erkenntnisse nun aber für die Entwicklung neuer therapeutischer Strategien bei der Behandlung von COVID-19-Patienten? Professorin Dr. Gülsah Gabriel zeigt sich vorsichtig optimistisch: „Natürlich bedarf es noch weiterer umfangreicherer Analysen, um zu verifizieren, in welchem Maß NETs zu schweren COVID-19-Fällen beitragen. Die DNase-Behandlung als therapeutische Strategie bei COVID-19-Patienten zum Abbau von NETs wird aber zunehmend diskutiert. Da das zunehmende Alter, insbesondere über 60 Jahren, der wichtigste Risikofaktor für schwere Verläufe ist, könnte eine therapeutische Behandlung mit DNase insbesondere bei dieser Patientengruppe sinnvoll sein“. Derzeit laufen klinische Studien zur DNase-Therapie von COVID-19-Patienten. Sie zielen darauf ab, herauszufinden, wie eine aerosolisierte intratracheale DNase-1-Gabe auf den Schweregrad und das Fortschreiten des akuten Lungenversagens bei COVID-19-Patienten wirkt. Ein besseres Verständnis der Rolle von NETs und ihrer Stabilisierung bzw. ihres Abbaus in der Pathogenese von COVID-19 scheint ein Schlüsselelement zu sein, um neue Behandlungsstrategien für schwere und leichte Fälle zu identifizieren. „Mit diesem gewonnenen Wissen könnten in Zukunft neue patientenindividuelle Behandlungsstrategien umgesetzt werden“, sagt von Köckritz-Blickwede.

Mikroskopie-Aufnahme
Nach einer zweistündigen Infektion von humanen Neutrophilen mit SARS-CoV-2 konnten die Forschenden mit konfokaler Immunfluoreszenzmikroskopie freigesetzte NETs nachweisen. Grün dargestellt sind DNA-Histon-1-Komplexe. Die roten Strukturen zeigen die neutrophile Elastase, ein Enzym, das eine Rolle bei der Immunabwehr spielt und von Neutrophilen Granulozyten gebildet wird.
© TiHo