Auf der Suche nach den evolutionären Wurzeln menschlichen Grußverhaltens analysierten Professorin Dr. Elke Zimmermann, Dr. Marina Scheumann und Sabrina Linn aus dem Institut für Zoologie der TiHo, das Mutter-Kind-Verhalten eines nichtmenschlichen Primaten, des Grauen Mausmakis (Microcebus murinus). Die Muster, die sie dabei erfassten, ähneln denen zweier Menschen bei der Begrüßung. Die Wissenschaftlerinnen vermuten daher, dass das menschliche Grußverhalten tief in der Stammesgeschichte der Säugetiere verankert ist. Die Studie erschien im Fachmagazin Scientific Reports.
Graue Mausmakis bewohnen die Trockenwälder Madagaskars und zählen zu den Primaten – sind also nah mit dem Menschen verwandt. Sie sind nachtaktiv und leben im Dickicht des Waldes, deshalb spielt die akustische Kommunikation bei diesen Primaten eine große Rolle. Außerdem leben sie in einem besonderen sozialen System: Tagsüber schlafen sie häufig gemeinsam mit Verwandten in Schlafhöhlen, nachts gehen sie allein auf Beutesuche. Währenddessen lassen sie ihre Nachkommen in Baumhöhlen oder im Dickicht zurück. Für ihre Studie untersuchten die TiHo-Forscherinnen Mausmakis in menschlicher Obhut. Sie fokussierten sich dabei auf zwei Situationen: Die Kontaktaufnahme der Mutter zu ihren Jungen, nachdem sie eine längere Zeit nicht in der Schlafhöhle gewesen war sowie die Momente bevor sie die Schlafhöhle mit den Jungtieren wieder verließ. „Wir erstellten und analysierten Video- und Tonaufnahmen von elf Mausmakimüttern und ihren Jungen“, erklärt Scheumann. „Die Ergebnisse unserer Auswertungen verglichen wir anschließend mit den sechs Kriterien, die typisch sind für das Begrüßungsverhalten des Menschen.“
Alle Kriterien erfüllt
Menschen zeigen ein bestimmtes, vorhersehbares Verhalten, wenn sie sich begrüßen. Es ist von Kultur zu Kultur unterschiedlich, folgt aber immer demselben Muster: Das Begrüßungsritual beginnt stets, sobald sich die Beteiligten visuell oder akustisch erkennen. Die grüßende Person passt ihren Gruß individuell an den Gesprächspartner an: Eine Mutter grüßt ihre Kinder beispielsweise anders als eine Freundin oder einen Fremden. Weitere Kriterien sind, dass die begrüßte Person ihrerseits mit einem bestimmten Verhalten auf den Gruß reagiert und dass sich die grüßende Person beim Abschiednehmen anders verhält als bei der Begrüßung. All diese Kriterien konnten die TiHo-Wissenschaftlerinnen auch beim Grußverhalten des Grauen Mausmakis feststellen. So konnten sie unter anderem nachweisen, dass alle Muttertiere stets sogenannte Trillrufe äußerten, sobald sie die Schlafhöhle betraten und ihre Jungen sehen, hören und riechen konnten. Bei der Verabschiedung gaben sie nur sehr selten Trillrufe von sich. „Die Muttertiere verhalten sich also beim Wiedersehen anders als beim Abschied. Das Verhalten scheint – wie auch beim Menschen – begrüßungsspezifisch zu sein“, erklärt Scheumann.
Mutter-Kind-Kommunikation: Ursprung der menschlichen Begrüßung?
Die jungen Mausmakis antworteten mit einer Art Vorstufe des Trillrufes auf die Begrüßung ihrer Mutter. Die Forscherinnen nehmen an, dass die Jungtiere während des Begrüßungsrituals üben, den Trillruf selbst einzusetzen. „In einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt untersuchen wir derzeit genauer, wie sich die Rufe der Jungtiere entwickeln und inwiefern dabei – wie beim Menschen – soziales Lernen eine Rolle spielt“, berichtet Zimmermann, die das Institut für Zoologie leitet. „Vorangegangene Untersuchungen zeigten zudem, dass Mausmakis den Trillruf in der Natur einsetzen, um die Mitglieder einer sozialen Gruppe an einem Ort zu versammeln und Gruppenbewegungen zu koordinieren.“ Scheumann ergänzt: „Die Art, wie Muttertiere zur Begrüßung mit ihren Jungen kommunizieren, scheint also nicht nur sehr wichtig zu sein, um eine enge soziale Beziehung zwischen der Mutter und ihrem Nachwuchs aufzubauen. Zusätzlich wird die lautbasierte Kommunikation für die Kleinen zu einem Ritual, das auch in ihrem weiteren Leben eine wichtige Rolle spielt.“ Die Forscherinnen vermuten daher, dass sich die Begrüßungsrituale des Menschen auf stammesgeschichtliche Wurzeln zurückführen lassen, die sich aus dem engen Bindungsverhalten zwischen Säugetiermüttern und ihren Jungen ergeben. Eine solche Bindung ist für die jungen Säugetiere in der Natur überlebenswichtig.
Die Originalpublikation
Vocal greeting during mother-infant reunions in a nocturnal primate, the gray mouse lemur (Microcebus murinus).
Marina Scheumann, Sabrina Linn & Elke Zimmermann (2017), Scientific Reports, DOI:10.1038/s41598-017-10417-8
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Dr. Marina Scheumann
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